Vancouver bis Toronto (16.10. – 21.10.12)

Um Acht können wir unsere Kabine der VIA Rail Bahn beziehen und eine halbe Stunde später rattert der Zug los. Während drei ein halb Tagen wollen wir von West nach Ost, von Vancouver nach Toronto, insgesamt rund 4’500 Kilometer quer durch Kanada fahren. Diese transkontinentale Strecke ist die wichtigste und meist gefahrene der Via Rail und wird auch „The Canadian“ genannt. Die Wagen aus rostfreiem Stahl schlängeln sich durch fünf Provinzen Kanadas, trotzdem kann man den Zug nicht mit der Transsibirischen Eisenbahn vergleichen. Hier steht nicht der Luxus im Vordergrund sondern der Transport. Die wenigen Haltestellen sind nur zum Ein- und Aussteigen, nicht für Sightseeing gedacht. Einzig in Jasper haben wir eine Stunde Zeit.

Viele Kanadier benützen die Bahn um ihre Familien oder Bekannte zu besuchen dennoch buchen auch Touristen diese Fahrt. Die meisten reisen in der einfachsten Klasse, die aus einem Sitz besteht, der Nachts gekippt werden kann. Wer sich ein Schlafabteil gönnen kann, bekommt zwar ein Bett für die Nacht, welches aber nur durch einen Vorhang vom Gang abgetrennt ist. Wir haben uns die feudale Variante gegönnt: Eine Kabine mit eigenem Lavabo und Toilette. Praktisch zwar aber unglaublich eng. Platz für Gepäck gibt es nicht und Zähneputzen oder Anziehen geht nur im „Schichtbetrieb“. Aber für vier Nächte reicht es völlig aus. Die Hostessen und das Personal sind darauf bedacht, dass die Fahrgäste alles haben was sie brauchen und erfüllen jeden Wunsch. Hut ab, was sie auf dieser Fahrt leisten.

Gestartet sind wir in der Provinz British Columbia und je näher wir Alberta kommen umso höher werden die Berge. Die Fahrt durch die Rocky Mountains fasziniert uns einmal mehr und in Jasper angekommen, gönnen wir uns den kurzen Moment die Füsse an der frischen Luft zu vertreten. Anfang Juni war hier „highlife“ und wir haben die Ortschaft als das St. Moritz Kanadas betitelt. Heute ist es hier still, viele Geschäfte sind bereits geschlossen, „St. Moritz“ hat seinen Glamour für die Winterzeit abgelegt. Jetzt ist sogar uns das Städtchen sympathisch, vor allem aber auch weil heute die Sonne scheint.

Die meiste Zeit verbringen wir im Aufenthalts- und Panoramawagen. Die vielen Fenster ermöglichen einen rundum Blick. Oft hängen wir einfach unseren Gedanken nach und betrachten die vorbeiziehende Landschaft. Erinnerungen an unsere Reise kommen hoch, haben wir doch gewisse Abschnitte bereits mit dem Camper erlebt. Das gleichmässige Rütteln und Schütteln lässt uns aber auch oft die Augen schliessen und ein bisschen dösen.

Der Zug steht und wir erwachen nach der zweiten Nacht im Bahnhof von Saskatoon, der Hauptstadt von Saskatchewan. Hier leben June und Derrik, das Ehepaar, welches wir im Norden dieser Provinz am McKay Lake kennen gelernt haben. Wie es ihnen wohl gehen mag?

Die Fahrt durch Saskatchewan bringt uns zurück zu den unendlichen Ebenen, zu den Farmern und den Kornfeldern. Nicht ohne Grund wird diese Provinz auch die „Kornkammer Kanadas“ genannt.

Wir empfinden die Fahrgäste als spezielle aber trotzdem liebenswerte Gesellschaft. Oder liegt es vielleicht an uns, weil wir in der Einsamkeit anders geworden sind? Nicht so offen wie wir es von den Kanadiern gewohnt sind, kommt man nur langsam mit ihnen ins Gespräch und wir ertappen uns nach langem wieder beim „Lästern“: Da sitzt der Japaner, der die Reise nur durch die Linse seiner Videokamera erlebt. Schaut er einmal nicht hindurch, dann streichelt er behutsam sein Smartphone. Oder die „schrumpelige“ Asiatin, welche fröhlich vor sich hin plappert und die Taschen mit Obst und Süssigkeiten vollstopft. Zwei ältere Herren scheinen dem Lokführer nicht zu trauen und verfolgen die Reise mit Hilfe von GPS und einer riesigen Karte, die sich so schwierig falten lässt.

Ältere Gäste und Passagiere die gesundheitlich angeschlagen sind, gibt es hier viele. Die Bahnfahrt ermöglicht es ihnen Kanada trotzdem bereisen zu können. Wir sind einmal mehr dankbar, das Privileg haben zu dürfen, das Land auf eigene Faust erkunden zu können.

In der Nacht durchfahren wir Manitoba und erreichen früh Morgens Ontario. Hier wird zum dritten und letzten Mal die Zeit um eine Stunde vorgestellt und wir müssen uns beeilen, damit es noch für’s Frühstück reicht. An uns zieht die wälder- und seenreiche Landschaft Ontario’s vorbei und wir erwischen uns beim entwickeln neuer Träume.

Im Speisesaal werden wir kulinarisch verwöhnt und kommen dreimal am Tag mit neuen Tischnachbarn ins Gespräch. So lernen wir die Australier kennen, die uns gleich spontan zu sich einladen. Oder die zwei Brüder, beides kanadische Kriegsveteranen, die von ihrer Vergangenheit gezeichnet sind. Sie offerieren uns ein Bier und stossen mit einem warmen „Welcome to Canada“ mit uns an.

Nach einem Tag scheinen uns die Leute zu kennen, entweder hat es sich herumgesprochen oder sie haben uns bei den Gesprächen zugehört, denn die meisten wissen bereits, dass wir sechs Monate unterwegs waren und vor allem den Yukon kennen. Interessiert wollen sie wissen wie es da oben ist und ob wir auch schon einen Bären gesehen haben. Wir können kaum glauben wie wenig Kanadier über den Yukon wissen und wie viele noch nie im Leben einen Bären in der Wildnis gesehen haben.

Unser Zug stoppt immer wieder mitten im Nirgendwo und steht für längere Zeit still. Diese einspurige Strecke wird nicht nur für den Passagier- sondern vor allem für den Gütertransport benutzt. In regelmässigen Abständen wurden Abstellgleise gebaut um das Kreuzen zweier Züge zu ermöglichen. Mit hohem Tempo donnern die endlosen Gütertransporte an uns vorbei. Meist sind es „Bulks“ (Kesselwagen) die mit Getreide gefüllt sind, aber auch Container, die von Übersee in die Grossen Seen geschifft wurden und jetzt ins Landesinnere transportiert werden. Bis zu zweihundert Bahnwagen werden miteinander verbunden und je nach Gewicht ziehen gleichzeitig drei bis fünf Lokomotiven den zwei bis drei Kilometer langen Zug. Die Lokomotiven, auch unsere zwei, werden ausschliesslich mit Diesel betrieben.

Der Blick aus dem Rückfenster ist faszinierend und irgendwie symbolisch zugleich. Er versinnbildlicht uns, wie schnell das letzte halbes Jahr an uns vorbei gezogen ist und wir bald wieder auf dem Gleis des Alltags fahren werden.

Nach einer „wackligen“ und somit schlaflosen Nacht, in der der Zugführer versucht hat die Verspätung aufzuholen, erreichen wir noch immer mit einer Stunde Verzug den Hauptbahnhof in Toronto.

Toronto ist mit 2,6 Millionen Einwohnern die grösste Stadt Kanadas. Sie ist Kanadas Wirtschaftszentrum und einer der führenden Finanzplätze weltweit. Nebst London und New York gilt sie auch als die Musical-Stadt. Toronto liegt am Ontariosee, dem kleinsten der fünf Grossen Seen.

Wir spüren schon im Bahnhof, dass hier alles ein bisschen hektischer und städtischer ist als noch zuvor in Vancouver. Das Taxi bringt uns zu unserem Hotel an der Yonge Street. Einmal mehr sind wir vom grossen Hotelzimmer überrascht, ist hier der Kleiderschrank doch tatsächlich grösser als unsere Kabine im Zug!

Die Yonge Street ist Toronto’s Main Street. Läden, Restaurants und Theater reihen sich aneinander. Hier trifft man sich und will sehen oder gesehen werden. Die Yonge Street ist eine der Hauptadern Toronto’s und endet erst nach 1’896 Kilometern im Norden Onatrios. Ihre Länge hat ihr sogar einen Eintrag ins Guinness-Buch der Rekorde gebracht.

Wir mischen uns unter die Leute und fallen mit unseren Outdoor Klamotten und dem Stadtplan unter den schicken Menschen auf. Immer wieder werden wir freundlich angesprochen, kommen ins Gespräch und erhalten Tipps, was man in Toronto unbedingt gesehen haben muss. Wir sind froh um jeden Ratschlag und unser Entscheid, den Ausflug an die Niagara-Fälle zu streichen, wird bestätigt. Es sei doch sehr touristisch und wer schon andere Wasserfälle der Welt gesehen habe, sei nur enttäuscht. Genauso haben wir es anhand der vielen teuren Tagestour-Angebote auch empfunden. Also behalte ich die Iguazu Falls in Brasilien und René die Victoria Falls in Afrika in guter Erinnerung.

Wir schlendern bis zum Dundas Square. Dieser Platz gilt als belebtester Ort in ganz Kanada. Hier treffen wir auf Strassenmusikanten aber auch Vertreter aller Religionen. Während der Christ verkündet, dass Jesus alle liebt, verteilt der Muslim ein paar Schritte daneben Informationen über den Islam. Überrascht wie friedlich sich die beiden begegnen, fragen wir uns, warum es auf der Welt immer wieder Krieg und Terror gibt.

Am Dundas Square liegt auch das Eaton Center, ein vierstöckiges Einkaufszentrum welches nach dem irischen Einwanderer Timothy Eaton benannt wurde. Er eröffnete 1869 an dieser Stelle einen Gemischtwarenladen. Mit 230 Läden, Restaurants und Dienstleistern ist es das drittgrösste Einkaufszentrum Kanadas.

Am Sonntag finden wir beim St. Lawrence Market einen Trödelmarkt. Viele Dinge erinnern uns an unsere Kindheit und das Knurren im Bauch erinnert uns an unseren Hunger. Sonntags scheint es aber nicht einfach zu sein ein Lokal für einen gewöhnlichen Lunch zu finden. Überall wird Brunch-Buffet angeboten und die andern Restaurants sind geschlossen, trotz grossem Hinweis „ open 7 day’s a week“ (7 Tage pro Woche geöffnet). Wir erinnern uns an den Anschlag in Carmacks und fragen uns, ob in Kanada wohl allgemein die 8-Tage-Woche gilt.

Das bekannteste Symbol Torontos ist aber ganz sicher der CN Tower mit einer Höhe von 553 Meter. Der Ausblick über die Stadt und den Ontariosee soll atemberaubend sein, aber die Tatsache das der Aufzug nur mit einer Glasfront versehen ist und uns oben ein Glasboden erwartet, lässt meine Knie bereits unten weich werden.

Während der sechs Monate habe ich in ganz Kanada nach dem typischen „red maple leaf“ (rotes Ahornblatt) gesucht. Hier in Toronto bin ich im Herbst endlich fündig geworden. Das Ahornblatt ist Kanada’s Wahrzeichen und ziert die Landesflagge welche am 15. Februar 1965 gehisst wurde. Der Zucker-Ahornbaum wächst zwar nur im Osten des Landes, dafür stellen die beiden roten Streifen auf der Flagge die Ost- und Westküsten dar.

Mit dem Herbst sind die Ahornblätter gefallen und symbolisieren für uns das Abschied nehmen von sympathischen Leuten, von einem wunderschönen Land, von Kanada. Morgen wird uns der Flug nach Europa bringen, zurück in unser Heimatland. Aber Kanada ist uns in diesem halben Jahr ans Herz gewachsen, wir betrachten es ein bisschen als unsere zweite Heimat.

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