Whitehorse bis Mount Michie Farm (1.10. – 12.10.12)

Bei beissender Kälte erreichen wir Whitehorse, der Himmel ist bedrohlich schwarz. Warm eingepackt und trotzdem frierend, bemerke ich, dass die Leute hier der Kälte noch immer im T-Shirt oder barfuss in Sommerschuhen trotzen. Scheint, dass die Yukoner ihren Thermostat anders eingestellt haben, was sind schon -5°C wenn es noch -40°C wird? Die Fahrzeuge sind aber bereits für den Winter vorbereitet. Viele haben die Spikes schon montiert und Stecker der „engine heater“ (Motorwärmer) baumeln aus dem Motorraum. Diese „Wärmekissen“ halten die Dieselmotoren über Nacht warm, damit das Starten am Morgen nicht zum Problem wird.

Wir fahren erst zum „Car wash“ und spritzen unserem Camper die Seifenreste weg, bevor wir uns auf den RV Park stellen. Kaum geparkt, öffnet der Himmel seine Tore und lässt Frau Holle ihre Kissen kräftig schütteln. Riesige Schneeflocken fallen und es fühlt sich an, als wäre Weihnachten. Aber nicht nur wegen der weissen Pracht: Nach drei Wochen geniessen wir endlich wieder eine warme Dusche und für mich steht als Highlight noch ein Föhn zur Verfügung.

Frisch wie aus dem „Blumentrog“ treffen wir uns in der Stadt mit Melanie. Vor rund fünf Jahren ist die Deutsche nach Whitehorse gereist um bei Fraserway zu arbeiten. Seither kennen wir sie und es war auch Melanie, die uns den Floh ins Ohr gesetzt hat, besser einen Camper zu kaufen anstatt zu mieten. Die ersten Kaufverhandlungen führten wir über sie und heute können wir bestätigen, wie recht sie doch hatte. Vielen Dank Melanie!

Wir lassen uns zur Feier des Tages von Giorgio’s (unserem Lieblings-Italiener) verwöhnen und geniessen einen fröhlichen Abend. Ja, die Zivilisation hat auch ihre guten Seiten.

Whitehorse, die Hauptstadt des Yukon, ist zugleich auch die grösste Stadt im Norden Kanadas. Mit ihren rund 26’000 Einwohnern ist sie ein überschaubares Städtchen geblieben, welches wir uns etwas genauer anschauen wollen.

Wie der Eiffelturm zu Paris, die Freiheitsstatue zu New York oder die Sphinx zu Ägypten, gehört die SS Klondike als Wahrzeichen zu Whitehorse. Sie ist eines der grösseren dampfgetriebenen Sternrad Schiffe die unter anderem die Route von Whitehorse nach Dawson City fuhr. Die Raddampfer verbanden die Gemeinden von 1869 bis 1955 miteinander und verknüpften sie mit der Aussenwelt. Während des Goldrausches waren sie die wichtigsten Verkehrsmittel und transportieren später auch Erze aus den Silberminen. Das ausgebaute Strassennetz verdrängte die Raddampfer langsam und heute steht die SS Klondike in Whitehorse als Symbol für den Flusstransport. Nach ihrer letzten Fahrt wurde sie ins Stadtzentrum verlegt. Dazu wurden über drei Wochen mehrere Bulldozer benötigt und 8 Tonnen Palmolive Seifenpulver verstreut.

Wir schlendern der Main Street entlang, deren Gebäude zum Teil noch immer ihre typischen Holzfassaden tragen. Die handvoll Souvenierläden bieten alles an, was das Herz begehrt und jetzt, im Herbst ist Ausverkauf. Anders als in Europa, geht es in der Einkaufsstrasse von Whitehorse ruhig und gemächlich zu und her. Die Bürgersteige sind nicht überfüllt und die Strasse kann auch neben den Fussgängerstreifen überquert werden. Wir setzen uns in die „Bakery“ (Bäckerei mit Tearoom) um die Leute zu beobachten. Hier kann es passieren, dass am Tisch neben an die bekannte kanadische Sängerin Kim Beggs ihren Kaffee schlürft und den Tourenplan mit ihrem Manager bespricht. Oder der wohl bekannteste Maler im Yukon, Jim Robb, schlendert draussen vorbei. Bekannt wurde er mit seinen Bildern von alten oder zerfallenen Cabins und in seinem Projekt „The colorful five percent“ (die farbigen fünf Prozent) malt und fotografiert er die bunten Charaktere und historischen Gebäude des Nordens.

Whitehorse ist stolz auf seine Geschichte und wir treffen auf ein Ehrenmal für all die Pioniere, die sich durch die Wildnis kämpften um nach Gold zu suchen.

Auch für Service, ihren weltberühmten Dichter und Balladenschreiber steht ein Monument an der Main Street. Robert William Service wurde in Schottland geboren und absolvierte eine Banklehre in Edingburgh. Im Alter von 21 Jahren wanderte er nach Kanada aus und fand in einer Bank in Whitehorse einen Job. Er träumte aber von einem abenteuerlicheren Leben und schrieb, in seinem Zimmer über der Bank, zwei seiner bekanntesten Balladen: „The Shooting of Dan McGrew“ und „The cremation of Sam McGee“. Zur selben Zeit wurde auch Jack London bekannt, dessen Romane zum Teil auch verfilmt wurden. Sein Denkmal steht in Form seiner Original Cabin in Dawson City. Die Geschichten „Lockruf des Goldes“ oder „Wolfsblut“ kennt weltweit jedes Kind.

Im McBride Museum können wir die Wildtiere des Nordens einmal in Ruhe und aus der Nähe betrachten. Die Grösse eines aufgerichteten Grizzly’s ist Respekt einflössend und neben dem Elch stehend, verstehen wir jetzt, wie er 200-300 Kilo Fleisch in einen Tiefkühler bringt.

Das Museum zaubert uns zurück in eine Bar während des Goldrausches oder wir bewundern die bunten Bekleidungen der Ureinwohner Kanadas. Die Schuhe, sogenannte Mukluks, stammen aus Old Crow, dem einzigen Dorf im Yukon, dass oberhalb des Polarkreises liegt und nur per Flugzeug oder im Winter auf der „ice road“ erreichbar ist.

Die Ureinwohner, auch First Nation oder Native genannt, blicken wie alle Indianer auf eine traurige Geschichte zurück. Nach Ankunft der Europäer während des Goldrausches wurden die First Nation verdrängt. Im Gegensatz zum Rest Kanadas wollte die Yukon Regierung keine Assimilation, sondern wollte den Ureinwohnern die Möglichkeit zur Selbstversorgung belassen, aber den Landbesitz verbieten. So gingen die Ländereien an die Weissen über und der Zugang zu Städten wurde nur zu gewissen Zeiten erlaubt. In Mayo läutete zum Beispiel eine Glocke zur Sperrstunde. Die Weissen brachten Alkohol und Krankheiten und die Missionare verbreiteten neue Religionen. Sogenannte „Residential Schools“ (Internate nur für Kinder der First Nation) wurden eröffnet in denen der Gebrauch der Muttersprache oder kulturelle Äusserungen verboten und bestraft wurden. Unterdrückung, physische und psychische Misshandlungen gehörten zum Alltag. Erst 2008 entschuldigte sich die protestantische Kirche (nicht die katholische!) und der Staat für diese Übergriffe.

Heute leben die First Nations steuerfrei. Jagd- und Angelgesetze gelten nur noch für Weisse und immer mehr Reservate gehen in den Besitz der Natives über. Die Opfer sind aber bis heute von den Vorgängen gekennzeichnet und die sogenannte „Wiedergutmachung“ verbessert die Situation nicht. Menschen in jedem Alter sitzen bereits am Morgen vor den Liquor Stores und kippen „ihren“ Alkohol. Teenager werden schwanger und deren Babys verwahrlosen. Im Spital werden die Natives kostenlos aufgepäppelt um Stunden später wieder in der Notfallstation aufgenommen zu werden. Viele schlafen mit Drogen vollgepumpt auf der Strasse und erfrieren. Nur wenige schaffen den Sprung in ein „normales“ Leben.

Eine weitere Herausforderung für die Regierung in Whitehorse ist der Wohnungsmangel. Dies führte dazu, dass viele im Sommer mit dem Zelt vor dem Regierungsgebäude campierten und somit ihrer Unmut Luft machten. Wohnungsmieten sind horrend gestiegen, eine kleine Ein- bis Zweizimmerwohnung kostet aktuell um 1’000.00 kanadische Dollar (Kurs CAD – CHF = 1:1) . Die Wohnungen die gebaut werden, sind mehrheitlich „Condos” (Eigentumswohnungen) und somit für viele unerschwinglich. Hotels und Lodges sind ausgebucht und die noch offenen RV Parks sind von Dauermietern besetzt.

Trotzdem gilt der Yukon als der „happiest place in Canada“ (der glücklichste Platz in Kanada). Die Menschen sind fröhlich, gelassen und offen. Die unendlichen Weiten, die Schönheiten der Natur und die menschenleere Wildnis schenken ihnen Freiheit und Zufriedenheit die auch für Besucher zu spüren ist.

Nach zwei Tagen in der Stadt sind wir gleichwohl froh auf die Mount Michie Farm flüchten und die Stille wieder geniessen zu können. Eva und Beat heissen uns einmal mehr willkommen und die Jurte ist bereits eingeheizt. Unglaublich wie viel Wärme der kleine Ofen abgibt und ich kann wieder ohne Mütze, Socken und Wärmeflasche ins Bett schlüpfen. Herrlich und eine wahre Wohltat, die uns in der ersten Nacht zwölf Stunden tief und fest durchschlafen lässt.

Die Temperaturunterschiede sind im Moment enorm. Die sonnigen Tage bringen uns nochmals Wärme von bis zu 20°C zurück. Wir lernen, dass diese Kalt- und Warmperioden im Zusammenhang mit dem Jet stream stehen. Im Herbst verläuft er stark wellenförmig und bringt entweder kalte oder warme Luft mit, bis er sich zum Winter hin einpendelt und die Kälte von -20°C bis -40°C bleibt.

Wer einen Winter im Yukon übersteht, wird liebevoll „Sourdough“ genannt. Diese Redewendung stammt vom Sauerteigbrot (Sourdough bread) welches während des Goldrausches ein wichtiges Nahrungsmittel war. Die Leute mussten kämpften damit der Teig bei diesen tiefen Temperaturen nicht erfror.

Uns „Chechakoo’s“ (Grünschnäbel) ist es jetzt schon zu kalt hier und wir sind froh, den Winter in Europa verbringen zu dürfen.

Eva und Beat gehören längst zu den Sourdoughs. Auf ihrer Farm gibt es keine Zentralheizung oder Wasser aus der Leitung. Sie verbrennen im Jahr rund 25m3 Holz, welches im Sommer gefällt, zersägt und gespaltet werden muss. Der grosse Ofen im Keller vermag das zweistöckige Haus genug zu wärmen, es muss nur rechtzeitig und regelmässig eingefeuert und nachgelegt werden.

Auf kostenloses Trinkwasser hat hier jeder Anrecht, Eva muss es aber 4 Kilometer entfernt bei der Feuerwehrstation abholen. Um ihren 5’000 Liter Tank im Haus füllen zu können, fährt sie die Strecke vier Mal. Die eisige Kälte erschwert diesen Vorgang weil das Wasser unterwegs einfrieren kann. Wird eine extreme Kälteperiode vorausgesagt, füllt Eva den Tank zur Sicherheit vorher noch auf.

Während den Sommermonaten (April-Oktober) war Highlife auf der Farm und die Betten waren dauerbesetzt. Nach uns wird es nun hoffentlich ruhiger werden was die europäischen Gäste anbelangt. Aber auch sonst ist immer viel los. Wenn nicht der neue Mieter ins Cabin einzieht, dann bringt Stan elf seiner Jagdpferde auf die Weide oder mitten in der Nacht fährt ein 40-Tonnen Truck vor. Martin und Ruth, Freunde der Farm, fahren für Superstore die Strecke von Edmonton nach Whitehorse. Klar, dass da ein kurzer Kaffeestopp auf der Mount Michie Farm dazu gehört. Auch Stu, der Elektriker, kommt mit einem Auftrag. Es soll ein Graben ausgehoben werden. Sogleich werden der Traktor und Schaufel geladen und ab geht’s.

Nebst seinen Bauzeichnungsarbeiten für Ingenieure in der Schweiz, fallen für Beat viele Arbeiten auf der Farm an. Er hat auf seinem 260 Acre (ca. 105 ha) grossen Grundstück das Haus, die Cabin, mehrere Ställe und Unterstände gebaut, rund 5 Kilometer Zaun verlegt und dabei mehr als 1’000 Pfosten eingeschlagen. Zusammen mit René wird der Bootsschopf eingekleidet, die Dachuntersicht getäfert oder die Gartenschläuche eingerollt. Nur selten gönnt sich Beat eine Kanufahrt, Anglerausflug oder Jagdtrip.

Eva ist die gute Seele der Farm. Nebst ihrer Arbeit zu 50% in der Intensivstation im Spital Whitehorse hegt und pflegt sie die Tiere auf der Farm. Nach einer 12-stündigen Schicht und 2 Stunden Arbeitsweg werden noch die Ziegen gemolken, bevor sie sich einen kurzen Moment Schlaf gönnt. Die Milch verarbeitet sie zu Joghurt und Fetakäse. Die frischen Hühnereier verkauft sie und die gut gemästeten Schweine werden bald geschlachtet. Im Garten wächst allerlei Gemüse und die Kräuter werden für den Winter getrocknet. Sie backt Sauerteigbrot und Kuchen und versteht es, ihre Gäste kulinarisch zu verwöhnen. Wir werden Eva’s gesunde und schmackhafte Küche vermissen.

Nebst dem Bauerntum pflegt sie den Haushalt, verwöhnt Kundschaft mit Massagen und hilft einer Patientin wöchentlich bei der Therapie zu Hause. Für Eva stehen die Mitmenschen im Vordergrund und ihre Leistungen verdienen unseren Respekt.

Zum ersten Mal erleben wir „Thanksgiving“ (Erntedankfrest) und wir spüren, dass dieses Fest hier eine grosse Bedeutung hat. Familie und Freunde essen zusammen und die Ambiente ist feierlich. Wir sind bei Chris und Stu vom Cariboo Lake zum Essen eingeladen. Sie sind Eva und Beat’s Nachbarn, d.h. sie leben ca. 10 Kilometer Luftlinie von der Farm entfernt! Chris ist Krankenschwester und liebt Farben. Für’s Badezimmer hat sie Fliesen aus aller Welt gesammelt und ein richtiges Kunstwerk ist dabei entstanden. Stu ist Biologe und träumt davon einmal das kanadische Team am Spengler-Cup in Davos anfeuern zu dürfen.

Unsere Bäuche sind mit leckerem Truthahn und Kürbis gefüllt und wir setzen uns draussen ans Lagerfeuer. Passend zum Feiertag zeigen sich die schönsten Nordlichter. Sie tanzen mit grünen Schleiern am Himmelszelt und formieren sich zu wunderschönen Gebilden.

Der Jet stream bringt gegen Ende der Woche wieder eisige Temperaturen und Schnee. Eva heizt für uns das „hot tube“ ein und wir geniessen bei -2°C ein herrlich warmes Bad. Die Schneeflocken fallen auf unsere Köpfe und über Nacht hüllt sich die Farm ins Winterkleid. Mit -10°C wird die Kälte noch intensiver.

Langsam heisst es vom Yukon Abschied nehmen. Die Koffern sind gepackt und traurig tauschen wir unser Nummernschild aus und bringen den Camper zu Fraserway. Hier wird er überwintern, doch vorher wird noch unser Kühlschrank repariert, welcher sich schlussendlich zu unserem wahren Stromdieb „geoutet“ hat. Morgen Samstag fliegen wir nach Vancouver wo uns bald der Schaffner erwartet.

Eva und Beat danken wir von ganzem Herzen für die vielen schönen Tage auf ihrer Farm, für ihre Grosszügigkeit, ihre Unterstützung, ihre Freundschaft und dass wir sie in diesem halben Jahr immer wieder als unsere „Basisstation“ betrachten durften.

 

Ein Gedanke zu „Whitehorse bis Mount Michie Farm (1.10. – 12.10.12)

  1. Hallo Zäme
    Mich frierst wenn ich diese Temperaturen höre, aber auf die Schneeflocken freue ich mich auch.
    Auch bei uns ist es etwas kühler geworden, wir geniessen schon die wohlige Wärme in unserem Wohnzimmer des Speicherofens.
    Nun wünschen wir Euch ev. mit ein paar Splitter Gold in den Hosentaschen, ein Happy Landing in der Schweiz und freuen uns natürlich auf ein Wiedersehen.
    Viele lb. Grüsse von R.und M. aus Attiswil

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