Stellako Lodge bis Innisfail (30.5. – 12.06.12)

Mit neuen Reifen und einem Stoss „Schweizer Familie“ Heftli sind wir wieder auf Achse. Im Tiefkühlfach eine Stange „selfmade“ Kräuterbutter von Erwin, Trudi’s selbstgebackene Oklahoma Pecan Pie (eine Art Nusstorte) für den „Gluscht“, Bier im Kühlschrank und Diesel im Tank – im Moment fehlt es uns an nichts.

Wir fahren von Fraser Lake Richtung Südosten dem Trans Canada Yellowhead Highway entlang. Die Strasse hat ihren Namen vom Iroquois-Metis Trapper Pierre Bostonais erhalten. Pierre arbeitete um 1800 für die Hudson’s Bay Company und wurde wegen seinen langen, blonden Haaren „Tête Jaune“ oder eben „Yellowhead“ genannt. Zu tausenden zieren leuchtend gelbe Löwenzahnblüten den Strassenrand und die Felder. Man könnte fast behaupten, dass auch sie ein bisschen für die Namensgebung verantwortlich sind.

Wir ziehen vorbei an Wäldern, die uns immer wieder das selbe traurige Bild zeigen: Abgestorbene Tannen oder grosse gerodete Flächen. Harry hat uns unsere Vermutung bestätigt: British Columbia hat seit längerem mit dem Borkenkäfer zu kämpfen. Stellenweise werden die gerodeten Wälder aufgeforstet oder die aus einem Samen entstandenen „Bonsai-Tännchen“ versuchen aus eigener Kraft wieder zum Wald zu werden. Es wird Jahre dauern, viele Jahre.

Merklich verändert sich die Landschaft. British Columbia ist nicht so wild und rau wie der Yukon. Die Population ist viel höher, die „Hütten“ werden zu Häusern, der Rasen wird gemäht und die Blumenkisten mit den farbigsten Blüten bepflanzt. Eine Farm folgt der anderen und Rinder und Pferde äsen auf den Weiden. Die Fahrer sind eiliger unterwegs und die Kreuze am Strassenrand deuten darauf hin, dass hier auch mehr Unfälle passieren.

An Telefonzellen, Schaufenstern oder an Toilettenhäuschen hängen nachdenklich stimmende Plakate: „Missing“ (vermisst) ist meist die Überschrift. Wir kennen die genaue Zahl der jährlich Vermissten nicht, aber wir wissen, dass es sehr viele sind. Die meist Jugendlichen fallen aber nicht einem Verbrechen zum Opfer sondern verschwinden irgendwo in der Wildnis. Sie ertrinken im See, brechen im Eis ein oder begegnen wilden Tieren.

Wir sind rein zufällig und zum Glück im lustigen Sinne auf einen Verschollenen gestossen. In einer Lichtung nahe unseres Campingplatzes ist er im hohen Gras gelegen und die Sonne hat die Knopfaugen glitzern lassen. Ich habe ihn eingepackt, in die Waschmaschine gesteckt und seither gilt er als neues Mitglied der Knüsse Familie: Borel, der kleine Elefant. Seinen Namen hat er vom Borel Lake, dem See, an dem wir ihn gefunden haben.

Bald schon biegen wir ab und fahren zu Fort St. James, einer nationalen Gedenkstätte. 1806 baute Simon Fraser hier den ersten Handelsposten. Das Gebiet war reich an allen möglichen Pelztierarten und wurde zu einem wichtigen Handelsplatz. Ab 1821 wurde der Posten Fort St. James genannt, damals vereinigten sich North West Company mit der Hudson’s Bay Company. Bis 1952 war dieser Posten in Betrieb.

Die Ausstellung ähnelt „Ballenberg“, alles ist originalgetreu renoviert oder nachgebaut worden. Zum Beispiel das Lagerhaus und Pelzlager. Sämtliche Handelswaren wurden hier gelagert, unter anderem auch die Pelze, die zu Ballen gebündelt und so für den Transport nach Victoria vorbereitet wurden.

Im Fischvorratslager wurde der getrocknete Lachs – der Wintervorrat – aufbewahrt. Dieser Fisch muss scheusslich geschmeckt haben, aber war das einzige Nahrungsmittel um den Winter zu überleben.

Das Geschäftszentrum des Postens war der Laden, hier haben Trapper ihre Pelze gegen andere Waren ausgetauscht. Dieses Gebäude wurde auch als erstes Postamt der Region benutzt. Die Leute versammelten sich hier voller Erwartungen, wenn sie eines der Segelschaluppen über den Stuart Lake gleiten sahen. Vielleicht war ja diesmal ein Brief von zu Hause mit dabei.

Mit der „back road map“ (Karte der Nebenstrassen) ausgerüstet fahren wir schon bald wieder durch die Wildnis und campen im Busch. Unterwegs wirbeln wir viel Staub auf. Sei es der Staub, der sich durch kleine Ritzen das Innere des Campers sucht oder aber auch unser Yukon Nummernschild. Immer wieder hören wir: „It’s a long way from home“ (Ein langer Weg von zu Hause). Oder eher verblüfft: „How did you guys find this place?“ (Wie habt ihr Leute denn diesen Platz gefunden?)

Die Schotterstrassen, gravel roads genannt, erinnern uns eher an frisch bestellte Kartoffelacker. In dieser Gegend wird aktiv gerodet und die mit Baumstämmen beladenen Trucks hinterlassen tiefe Furchen im Kies.

In der Nacht regnet es aus Kübeln und die Strasse verändert sich. Der Kartoffelacker scheint zu leben. Unser Camper ist schwer und wir rutschen, sinken ein. Schneller als 15 km/h können wir nicht mehr fahren, stellenweise kämen wir ohne 4×4 Truck nicht mehr weiter. Die Fahrt ähnelt einer Private Camel Trophy. Ich bin jedenfalls froh, kurz vor Prince George wieder „festen“ Boden unter den Rädern zu haben.

Angesichts des schlechten Wetters entscheiden wir uns, ausser Plan, einen Dusch- und Waschtag auf einem RV Park in Prince George einzuschalten. Diese RV Parks sind mit allem ausgerüstet. Jeder Stellplatz verfügt über Strom, Wasser und Abwasserstation, zusätzlich gibt’s öffentliche Duschen und eine Loundry (Wäschestube). Uns gefallen diese Plätze nicht sonderlich, weil man mit dem Camper wie die Hühner auf der Stange steht. Trotzdem ist die Vorfreude über eine warme Dusche jedes Mal gross, auch wenn es dann meist besser ist, die Brille schnell abzunehmen um nicht alles so genau zu sehen.

Vorher ergänzen wir noch unser Vorräte. Prince George, eine Stadt mit über 100’000 Einwohner und an der Kasse neben an treffen wir auf die nette Kanadierin, mit deren Familie wir am „long weekend“ am Lagerfeuer gesessen haben.

Diese Stadt hält noch mehr für uns bereit. Am nächsten Morgen erleben wir „Wilder Westen“ auf dem RV Park. Ein lauter Knall ertönt und kurz darauf erklärt uns die Besitzerin, dass vier Chinesen einen Nagel eingefahren hätten, diesen rausziehen wollten und dabei der Reifen platze. Ihr Mann lässt sich von den Schlitz(augen)ohren nicht täuschen und ordert die Polizei. Blitzartig erscheinen zwei Streifenwagen und vier Cops. Acht Waffen und zwei erlegte Bären werden gefunden. Das Einschussloch in der Wagentüre beweist, dass der Knall ein Schuss war. Die vier Männer werden mit Handschellen verhört und auch wir geben den Cops Auskunft.

Wir sind froh, schnell weg zu kommen und biegen wieder in den Yellowhead Hwy ein. Es regnet noch immer, ausnahmsweise haben wir Radioempfang und vernehmen, dass einige Einwohner von Prince George evakuiert werden mussten, weil der Fraser River über die Ufer getreten ist. Auch ein Teil unserer Strasse wurde weggeschwemmt und wir stehen vor dem „Road Closed“ (Strasse gesperrt) Schild.

Gezwungenermassen fahren wir zum Purden Lake Campground und entdecken einen Märchenwald. Der Boden ist mit weichem Moos bedeckt, hinter jedem Baumstrunk glauben wir einen Troll zu erkennen oder versteckt sich etwa ein Wichtel unter dem hellgrünen Farn? Wir fühlen uns hier sehr wohl und geniessen zwei Tage, auch wenn der Regen geblieben ist.

Die Flüsse sind alle bedrohlich angestiegen, niemand weiss, wann die Strasse erneut weg bricht. Wir gelangen trotz der Fluten nach Alberta und nähern uns langsam dem Jasper Nationalpark.

Erst stoppen wir in der Stadt Jasper und stellen fest, dass es hier unserem St. Moritz oder Interlaken ähnelt. Schicke Läden, übertriebene Preise, ein Souvenir Laden folgt dem anderen.

Um mir einen Wunsch zu erfüllen, nimmt René die Reise durch diese touristische Region noch einmal auf sich und ich freue mich auf meine erste Fahrt über „The Icefields Parkway“, wie die Strasse seit 1960 genannt wird. Der Bau der Strasse, die mitten durch das Herz der Kanadischen Rocky Mountains führt, begann 1931. Hunderte von Arbeitslosen wurden in die Rockies geschickt um die „Wunderstrasse“ mit Hilfe von Pickeln, Schaufeln und Pferden zu erbauen. 1940, während dem Krieg, wurde sie eröffnet. Die angeblich „schönste Strasse der Welt“ soll kein Transport Korridor sein und die intakte Natur soll geschützt bleiben. Aus diesem Grund fahren hier keine Lastwagen und die halbe Million Reisende (pro Jahr) haben eine Eintrittsgebühr zu bezahlen.

Es regnet noch immer, die Rockies verstecken sich hinter grauen Wolken, die Tiere haben sich ins Gehölz verkrochen und die Strasse ist in einem schlechten Zustand. Die unangenehme Feuchtigkeit im Camper und das viele Nass draussen, schlagen auf die Moral. Und als wir feststellen, dass praktisch alle Campingplätze noch geschlossen sind und die handvoll „Earlybird“ Touristen auf einen engen Platz gezwängt werden um ihnen dann noch eine Menge Geld dafür abzuknöpfen, ist die Enttäuschung gross. Anke’s „Gute Laune Taschentücher“ kommen zum ersten Mal zum Einsatz. Während ich mir kräftig die Nase schneuze, denke ich an die wundervollen Bilder aus den Hochglanzprospekten, die mir verwehrt bleiben sollen. Traurig schlafe ich in dieser kalten Nacht ein.

Der Himmel scheint mit mir, und auch vielen anderen Touristen, Erbarmen gehabt zu haben. Über Nacht verschwinden die Wolken und ein strahlender Tag erwartet uns. Mein Herz hüpft vor Glückseligkeit und die Freudentränen kullern mir beim Anblick dieser fantastischen Bergwelt über die Wangen. Ich bin dankbar, dass ich immerhin 75 Kilometer dieser Strasse bei schönem Wetter erleben darf. Den Jasper Nationalpark muss man einfach gesehen haben (aber nur bei sonnigem Wetter).

Entschädigungen für das schlechte Wetter haben wir auch sonst zur Genüge erhalten. Sei es ein Eichhörnchen, das im Morgengrauen über unser Dach tanzt und mit seinen spitzen Öhrchen und schwarzen Kulleraugen neugierig durch die Dachluke über unserem Bett lugt. Oder die Bärenmutter, deren drei Babies, aufgeschreckt durch unser Motorenlärm, die Bäume hochklettern. Bei vielen Erlebnissen vergesse ich vor lauter Erstaunen durch die Linse zu schauen, aber tief im Herzen bleiben uns diese Momente in Erinnerung.

 

 

 

 

 

Ein Gedanke zu „Stellako Lodge bis Innisfail (30.5. – 12.06.12)

  1. Hallo ihr Lieben
    Wau, was für grandiose Bilder !! Das würde mir also auch gefallen, nur die zuweilen nasse und einsame Pampa oder ein Klo ohne Wände würden mich beunruhigen… Kompliment Monique, Deine Berichte sind spannend, witzig, blumig und informativ, Du solltest das hauptberuflich machen…..DANKE und weiterhin gute Fahrt ! Liebe Grüsse, Susanne, Reto, Julia & alle Viecher…

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